Die Meisterklasse des Alpinismus
Alpines Klettern, Freiklettern, das ist das Meisterwerk der Kletterkunst. Wo nur natürliche Haltepunkte die Fortbewegung ermöglichen, wo die Schwierigkeiten steigen, je kleiner Griffe und Tritte, Leisten und Löcher werden, je steiler sich die Kletterstellen über dem Kopf auftürmen. Überall dort wird alpin geklettert. Gesichert nur vom Seil und den Sicherungsmöglichkeiten in der Wand. Es helfen bei der Fortbewegung nur die eigene Kraft und das eigene Geschick. Ja, das ist die Meisterklasse des Bergsteigens.
Als das Klettern begann, führte es die Protagonisten auf den Weg des geringsten Widerstandes. Dorthin, wo es am leichtesten schien. Später kamen die Grate, weil da am wenigsten Steinschlag zu erwarten war. Dann die Kamine und Risse. Schließlich suchte man gezielt die Schwierigkeiten und ging in die freien Wände, wo es so schwer ist, sich zu orientieren und sich einen Überblick über das Ganze zu verschaffen.
Modisch oder einsam
Immer ausgesetzter, steiler wurde geklettert, schließlich überhängend. „Das Letzte im Fels, so wurde einst der sechste Grad umschrieben. Heute wird im zwölften Grad geklettert. Das fühlt sich dann an wie Klettern an einer Raufasertapete.
Und welche Fülle an Möglichkeiten gibt es gerade in den nahen Dolomiten, dem Paradies des Kletterns. Brenta oder Drei Zinnen, die Tofanen und der Sellastock, Langkofel und Marmolada, Rosengarten und selbstverständlich all die vielen, einsamen, kleinen Massive mit ihren großartigen Touren. Die Qual der Wahl: modisch und In oder einsam und allein? Schon mal was von Lastoni di Formin gehört?
Alle Großen waren in den Großen Wänden südlich des Brenners. Bonatti, Comici, Cassin, Buhl, Messner, Kammerlander, später dann Güllich und Glowacz, die Huber-Brüder.
Meisterwerke in Stein
Sie alle – und all die anderen – haben in den gelben Dolomiten-Wänden Werke für die Ewigkeit hinterlassen. Meisterwerke. Neu erfinden nicht möglich. Kopieren und wiederholen erwünscht. Da bekommt man auf einmal Respekt. Denn eine steile Sechs ist immer noch ein Hammer im ausgesetzten, bisweilen brüchigen Dolomitenfels. Und dann der immer wiederkehrende Satz: „Wenn man bedenkt, die damals..., mit dem Material, mit diesen klobigen Schuhen und den Seilen, ohne Gurt, einfach nur eine Hanfkordel um den Bauch gebunden...“. Paul Preuß kletterte den Preuß-Riss an der Kleinen Zinne ohne einen einzigen Haken zu schlagen. Zuerst allein hinauf, dann ungesichert wieder hinunter. Und dann mit seinem Gast noch einmal hinauf. Rudl Eller schlug bei der Erstbegehung der Dibona-Kante überhaupt nur einen einzigen Haken. Zum reinen Vergnügen, und dass er ihn nicht ganz umsonst dabei hatte. Heute stecken in der vielbegangenen Route an der Großen Zinne mit den „Verhauern“ über achtzig alte Rostgurken und nagelneue Haken. Die oberste Etage des Bergsteigens hat eben viele Vertreter. Auch heute noch. Und nicht alle sind Ästheten.